....UND WARUM WIR DAS SO LEICHT MISSVERSTEHEN.
Ist Gleichmut wirklich das höchste Ziel?
In der spirituellen Welt gibt es ein weit verbreitetes Missverständnis. Es ist der überall ausgesprochene Vorsatz „zu akzeptieren, was ist“. Das Missverständnis entsteht, wenn man deswegen glaubt, wir sollten allem, das uns widerfährt mit Gleichmut und Gelassenheit begegnen. Besonders, wenn wir uns schon mit den Themen Bewusstsein und Spiritualität befasst haben. Dann reden wir uns leicht ein, eine Situation, die uns in Wahrheit aufwühlt, traurig oder wütend macht, akzeptieren zu müssen weil Wut, Neid oder Schmerz zeigen, dass wir unsere Hausaufgaben im Achtsamkeitsunterricht nicht gemacht haben. Und das geht natürlich nicht, denn wir wollen ja gut dastehen. Und hier geschieht das Unglück. Denn so reden wir uns mental heraus aus dem, was wirklich für uns los ist, anstatt es zu akzeptieren.
Unterdrückte Gefühle gehen nicht weg, sondern machen uns krank.
Wir Menschen wollen alle glücklich sein und glauben paradoxerweise, wenn wir bloß die unangenehmen Gefühle wegschieben können und nicht fühlen müssen, glücklich werden zu können. Aber das Gegenteil ist der Fall. Nicht gefühlte, unterdrückte Gefühle blockieren uns, rauben uns unsere Lebendigkeit und hindern uns daran, mit uns selbst und Anderen wahrhaftig in den Kontakt treten zu können. Und vor allem gehen unterdrückte Gefühle nicht weg. Sie wandern in den Untergrund ab, wo sie sich anstauen und uns dauerhaft belasten.
Zu akzeptieren, was ist, bedeutet immer zuerst deine Gefühle anzunehmen.
Zu akzeptieren, was ist, bezieht sich vor allem und in erster Linie auf die Gefühle, die in uns auftauchen. Ein Beispiel: Deine beste Freundin sagt kurzfristig die Verabredung ab, auf die du dich schon lange gefreut hast. Sie muss Überstunden machen. Rational kannst du dir erklären, dass die nichts dafür kann und natürlich auch gern gekommen wäre und daher solltest du das verstehen und es dir nicht zu Herzen nehmen. Ist ja keine große Sache. Aber stimmt das wirklich? Oder redest du dir das nur ein? Wenn du wirklich in dich horchst, stellst du vielleicht fest: "Eigentlich bin ich enttäuscht, traurig und sogar etwas wütend über ihre Absage." Ein ehrlicher Selbst-Check ist der größte Liebesbeweis, den wir uns selbst erweisen können. Weil es bedeutet, dass wir uns nicht verleugnen, sondern dass wir uns annehmen mitsamt all unseren Gefühlen. Auch - und gerade wenn - es unbequem ist. Wut beispielsweise ist ja gerade Ausdruck dafür, dass wir eine Situation im erstem Schritt eben nicht akzeptieren. Wenn wir uns auf uns einlassen, auf unsere Gefühle, dann werden wir Stück für Stück mehr wir selbst und authentischer.
Ein ehrlicher Selbst-Check ist der größte Liebesbeweis.
Das nächste Mal also wenn eine Situation dich aufwühlt, halte kurz inne und fühle wirklich, was in dir passiert. Es muss nicht lang sein. Ein paar Augenblicke genügen. Hineinspüren, wahrnehmen. Am Anfang kann das ungewohnt sein oder vielleicht glaubst du, garnicht so viel zu entdecken. Aber wie heißt es so schön: Übung macht den Meister. Du hast nichts zu verlieren. Sondern die Aussicht, dich selbst besser kennen zu lernen. Ich bin mir sicher, das ist ein Gewinn.
Und noch etwas: Gleichmut ist nicht gleich Mut. Er tut gut! Aber nur, wenn er wirklich echt ist. In allen anderen Fällen ist das ehrliche Fühlen weitaus mutiger.